Wirkt der Gläubiger bei der Leistungserbringung des Schuldners nicht mit, kann dieser seine Leistung oft gar nicht erst erfüllen. Der Gläubiger kann daher mit seinen Mitwirkungspflichten in Verzug sein.
Begriff
- Gläubigerverzug = Gläubiger unterlässt seine gebotenen Mitwirkungspflichten bei der Leistungserfüllung durch den Schuldner
Grundlage
- OR 91 – 65
Mitwirkungspflicht des Gläubigers
Obliegenheit
- Die Mitwirkung des Gläubigers ist im Gegensatz zur Leistungspflicht des Schuldners nicht eine Pflicht, sondern eine sog. „Obliegenheit“
Durchsetzen einer Obliegenheit
- Grundsatz
- Der Schuldner kann bei Nichtwahrnehmung der Obliegenheit durch den Gläubiger weder auf Erfüllung klagen noch Schadenersatz verlangen
- Sonderfälle:
- Annahmepflicht des Käufers OR 211
- Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers OR 324
Voraussetzungen des Gläubigerverzuges
Leistung des Schuldners muss gehörig angeboten werden
- Schuldner muss zur Leistung berechtigt sein
- Gehörig heisst, zur richtigen Zeit am richtigen Ort
- Leistung vor Fälligkeit muss mit genügend Zeitvorsprung dem Gläubiger angezeigt werden
- Leistung des Schuldners muss grundsätzlich real angeboten werden
Fehlende Mitwirkung des Gläubigers
- Ein Gläubigerverschulden muss nicht vorliegen
- Ein unverschuldeter Gläubigerverzug kann indessen zu einer Haftungs-Milderung führen (OR 99 Abs. 3 in Analogie)
Keine Rechtfertigungsgründe
- Der Gläubigerverzug setzt voraus, dass der Gläubiger seine unterbliebene Mitwirkung nicht mit objektiven Gründen rechtfertigen kann
Rechtsfolgen des Gläubigerverzugs
Ausschluss Schuldnerverzug
- Der Gläubigerverzug schliesst einen Schuldnerverzugs (der Gegenpartei) aus oder beendet einen vorbestandenen Schuldnerverzug
- Gläubigerverzug führt bei synallagmatischen Verträgen gleichzeitig zu Schuldnerverzug (der gleichen Partei)
Wahlrechte nach OR 107-109 möglich Gefahrenübergang auf den Gläubiger
- Mit dem Gläubigerverzug geht das Risiko eines zufälligen Untergangs der Sache auf den Gläubiger (Unternehmer) über, analog OR 376 Abs. 1
Keine Einrede des nicht erfüllten Vertrags
- Beim Zug-um-Zug-Geschäft ist es dem Gläubiger, solange er in Gläubigerverzug ist, verwehrt die Einrede des nicht erfüllten Vertrages vorzubringen
Aufwendungsersatz
- Der Schuldner hat Anrecht auf Ersatz der Aufwendungen aus dem Gläubigerverzug
Hinterlegung
- Grundsatz
- Im Falle des Gläubigerverzugs kann der Schuldner bei Sachleistungen die Sache hinterlegen
- Wirkung
- Die Hinterlegung befreit den Schuldner rechtsgültig von seiner Leistungspflicht (BGE 119 II 437 E. 3a)
Rücktritt
- Grundlage
- OR 95
- Grundsatz
- Der Besteller ist als Schuldner ermächtigt, bei Verzug des Gläubigers, solange nicht er selbst zu einer Sachleistung verpflichtet ist, vom Vertrag zurückzutreten
- Wirkung
- Sachleistungen kann der Besteller hinterlegen; für andere Leistungen hat er keine Sanktionsmöglichkeit
Literatur
- Straub Demian, Die Rechtsfolgen des Gläubigerverzugs (Diss. Bern), Bern 2009
Judikatur
- Zur Hinterlegung beim Gläubigerverzug