Die Gewährleistung beim Kauf umfasst die Rechtsgewährleistung (OR 192 ff.) und die Sachgewährleistung (OR 197 ff.). Beide Normen sind dispositiver Natur. Mit sogenannten Freizeichnungsklauseln können die Gewährleistungsansprüche des Käufers deshalb erweitert, eingeschränkt oder vollständig wegbedungen werden:
Begriff
- Freizeichnungsklausel (auch: Haftungsfreizeichnung) = Vereinbarungen der Partei, wonach die Gewährleistungsansprüche des Käufers erweitert, beschränkt oder vollständig ausgeschlossen werden
Freizeichnungsklauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB)
AGB-Verwender streben in der Regel an:
- eine Haftungsbegrenzung;
- den vollumfänglichen Haftungsausschluss.
Grundlage
- OR 192 ff. und 197 ff., insbesondere OR 199
- Schranke: OR 101 Abs. 1
Rechtsgrund
- Parteivereinbarung / Individualabrede, ev. Allgemeine Geschäftsbedingungen (AGB)
Verbreitung/Bedeutung
- Bei Kaufverträgen insbesondere auch bei Grundstückkaufverträgen
- Freizeichnungsklauseln sind meistens mit einer Garantieklausel verbunden
- Auch in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) sind Haftungsfreizeichnungen anzutreffen, die nicht selten problematische Inhalte enthalten.
Wirkung
- Freizeichnungsklauseln erweitern oder beschränken Gewährleistungsansprüche des Käufers oder schliessen diese vollständig aus
- Damit ein Mangel von der Freizeichnungsklausel erfasst wird, muss er im Zeitpunkt der Nutzen- und Gefahrenübertragung auf den Käufer bereits vorhanden gewesen sein
- BGE 130 III 686 E. 4.3
- Der Umfang einer Freizeichnungsklausel muss durch Auslegung des Vertrages ermittelt werden
- Freizeichnungsklauseln sind restriktiv, in dubio contra stipulatorem, zu interpretieren
- Ein Mangel ist von der Freizeichnungsklausel nicht erfasst „wenn er gänzlich ausserhalb dessen lag, womit ein Käufer vernünftigerweise rechnen musste. Dabei hängt von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab, womit ein Käufer zu rechnen hat“ (BGE 130 III 686 4.3.1)
Ferner:
- Ein Haftunsausschluss im Voraus für Grobfahrlässigkeit oder Vorsatz ist nicht möglich, für leichtes und mittleres Verschulden dagegen schon.
- Beim Kauf besteht die Haftung für arglistig verschwiegene Mängel trotz Freizeichnung (vgl. OR 192 Abs. 3 und OR 199).
- Bei der Miete hat der Vermieter dem Mieter das Mietobjekt in einem zum vorausgesetzten Gebrauch tauglichen Zustand übergeben, was in AGB oder für Mietverträge über Wohn- oder Geschäftsräume nicht wegbedungen werden kann (vgl. OR 256 Abs. 2).
Beschränkung
- Freizeichnungsklauseln sind ungültig, wenn im Voraus die Haftung für absichtlich oder grobfahrlässig verursachte oder arglistig verschwiegene Mängel ausgeschlossen wird (OR 100; OR 192 Abs. 3 und OR 199)
Freizeichnungsklauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB)
- Haftungsfreizeichnungen sind restriktiv auszulegen.
- Es ist strittig, ob bei übermässigen Freizeichnungsklauseln zu Lasten der schwächeren Partei in AGB noch eine geltungserhaltende Reduktion im Sinne der Teilnichtigkeit bejaht werden kann.
- Die Freizeichnungsklausel sollte in solchen Fällen aus Präventionsgründen nicht auf das erlaubte Mass eingeschränkt werden, sondern vollumfänglich wegfallen (vgl. SCHWENZER, N 24.08, ähnlich BGer 4A_40412008, Erw. 5.6.3.2.1).
- Ein Haftungsausschluss für Körperschäden gilt nach herrschender Lehre unsittlich (vgl. ZGB Art. 27 Abs. 2).
- Das Bundesgericht (BGer) verneint die Wirkung der Haftungsfreizeichnung bei unvorhersehbaren Mängeln, welche den wirtschaftlichen Zweck des Geschäfts erheblich beeinträchtigen (vgl. BGE 130 III 686 ff., 689 f. / extremer Feuchtigkeitsschaden bei verkauftem Haus).
Hinweis
- Zusicherungen sind beim Ausschluss der Gewährleistung mittels Freizeichnungsklausel nicht mit eingeschlossen
- BGE 4C.119/2005 vom 25.08.2005
- Da Zusicherungen formfrei möglich sind, wird bei Freizeichnungsklauseln empfohlen, explizit festzuhalten, dass ausserhalb des verschriftlichten Vertrages keine Zusicherungen abgegeben wurden
Freizeichnungsklauseln in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB)
- Ein genereller Haftungsausschluss in den AGB trotz Zusicherungen für bestimmte Eigenschaften der vertraglichen Leistung sind widersprüchlich und deshalb unbeachtlich.
- Vgl. BGE 123 III 165 ff., 170 = Pra 87 Nr. 71; BGE 109 II 24 f., 25 = Pra 72 Nr. 145; BGE 73 II 218 ff., 223 f. = Pra 37 Nr. 60).
- Ein Haftungsausschluss verträgt sich nicht mit dem Vertragstyps, eines Auftrags, bei dem sorgfältiges Tätigwerden zum gesetzlichen Vertragsinhalt gehört (vgl. OR 398 Abs. 2).
- Eine Haftungsfreizeichnung widerspricht diesem Sorgfaltsmassstab und erlangt daher u.E. keine Gültigkeit (offengelassen in BGE 124 III 155 ff., 165).
Literatur
- Binder Andreas/Vetter Meinrad, Freizeichnung von Gewährleistungsansprüchen beim Grundstückkauf, AJP/PJA 6/2007
- SCHWENZER, N 24.08
Judikatur
- Bestimmung der Tragweite einer Freizeichnungsklausel nach dem Vertrauensprinzip
- Zu „in dubio contra stipulatorem“
- Zu Freizeichnungsklauseln und Zusicherung
- BGE 4C.119/2005 vom 25.08.2005
- Aus präventiven Gründe
- BGer 4A_40412008, Erw. 5.6.3.2.1
Musterklauseln
Aufhebung der Gewährleistungsansprüche
Die Haftung des Verkäufers für allfällige Sach-und Rechtsmängel wird vollumfänglich wegbedungen, soweit dies gesetzlich zulässig ist.
Der Verkäufer hat dem Käufer auch ausserhalb des verschriftlichten Vertrages keine Zusicherungen über die Kaufsache abgegeben.
Beschränkung und Erweiterung der Gewährleistungsansprüche
Der Verkäufer hat bei Gewährleistungsfällen das Recht, nach eigenem Entscheid jeweils entweder eine Nachbesserung oder eine Ersatzleistung vorzunehmen.
Anspruch auf Wandelung und/oder Minderung besteht nicht.
s.e.&.o.