Begriff der Nichtleistung
Die Nichtleistung muss in Nichtleistung im weiteren Sinne und in die Nichtleistung im engeren Sinne aufgeteilt werden.
Die Nichtleistung im weiteren Sinn umfasst sämtliche Nichtleistungen, die nicht auf eine Unmöglichkeit der Leistung zurückzuführen sind. Darunter fallen zB:
- Leistungsverweigerung trotz Fälligkeit
- Leistungsangebot am falschen Ort
- Rechtsmässige Annahmeverweigerung des Gläubigers
- Aliud-Leistungen
- Vgl. Aliud oder Peius
- Antizipierter Vertragsbruch
- offensichtliche Erfüllungsgefährdung
- endgültige Erfüllungsverweigerung
Die Nichtleistung im engeren Sinn ist der Oberbegriff für sämtliche Arten der Nichterfüllung aufgrund der Unmöglichkeit einer Leistung. Nachfolgend wird näher auf die unterschiedlichen Arten der Nichtleistung im engeren Sinn d.h. auf die verschiedenen Unmöglichkeiten eingegangen:
Objektive und subjektive Unmöglichkeit
Ein wichtiges Kriterium für die Abgrenzung liegt darin, ob die Leistung nur vom Schuldner oder von niemandem mehr erbracht werden kann:
- Objektive Unmöglichkeit
- Bei der objektiven Unmöglichkeit kann die Leistung von keinem Schuldner erbracht werden
- Subjektive Unmöglichkeit
- Bei der subjektiven Unmöglichkeit kann die Leistung von einem bestimmten Schuldner nicht erbracht werden
Anfängliche und nachträgliche Unmöglichkeit
Auch der Zeitpunkt der Unmöglichkeit ist für die Abgrenzung relevant.
- Anfängliche Unmöglichkeit
- Bei der anfänglichen Unmöglichkeit ist die Leistung bereits im Zeitpunkt des Vertragsschlusses unmöglich
- Nachträgliche Unmöglichkeit
- Bei der nachträglichen Unmöglichkeit wird die Leistung erst nach Vertragsschluss unmöglich
Weitere Abgrenzungskriterien
Folgende weitere Abgrenzungskriterien sind zu erwähnen. Insbesondere die Abgrenzung zwischen verschuldeter und unverschuldeter Unmöglichkeit ist für die Rechtsfolgen der Unmöglichkeit relevant.
- Verschuldete Unmöglichkeit
- Verschulden liegt beim Gläubiger oder Schuldner
- Unverschuldete Unmöglichkeit
- Kein Verschulden von Gläubiger und Schuldner
- Schuldzuweisung nicht möglich
- Kein Verschulden von Gläubiger und Schuldner
- Vorübergehende oder dauerhafte Unmöglichkeit
- Weitere Abgrenzungen
- Tatsächliche Unmöglichkeit
- Leistung kann aufgrund der Naturgesetze nicht mehr erbracht werden
- Rechtliche Unmöglichkeit
- Vertrag soll eine gesetzlich nicht zugelassene Rechtsfolge herbeiführen
- Wirtschaftliche Unmöglichkeit
- Nur wenn unzumutbar, d.h. wenn durch wirtschaftliche Veränderungen ein krasses Missverhältnis zwischen den Leistungspflichten der Parteien entsteht
- Tatsächliche Unmöglichkeit
Rechtsfolgen der Unmöglichkeit
Nachfolgend werden die unterschiedlichen Rechtsfolgen der unterschiedlichen Unmöglichkeiten zusammengefasst dargestellt.
Unverschuldete Unmöglichkeiten
- Unverschuldete anfängliche objektive Unmöglichkeit
- Rechtsfolgen nach OR 20
- Nichtigkeit
- Rechtsfolgen nach OR 20
- Unverschuldete anfängliche subjektive Unmöglichkeit
- Rechtsfolgen nach OR 119
- Forderung gilt als erloschen
- Vgl. BGE 117 II 71 E. 4
- Forderung gilt als erloschen
- Rechtsfolgen nach OR 119
- Unverschuldete nachträgliche Unmöglichkeit (subjektiv und objektiv)
- Rechtsfolgen nach OR 119
- Leistung des Schuldners
- Forderung gilt als erloschen
- OR 119 Abs. 1
- Forderung gilt als erloschen
- Leistung des Gläubigers
- Gläubiger wird von Leistungspflicht befreit
- OR 119 Abs. 2
- Bereits erbrachte Leistungen können zurückgefordert werden
- Rückforderung gemäss ungerechtfertigter Bereicherung nach OR 62 ff.
- Vgl. OR 119 Abs. 2
- Heute auch Anspruch auf vertragliche Rückabwicklung nach OR 109 Abs. 1 möglich
- Gläubiger wird von Leistungspflicht befreit
- Leistung des Schuldners
- Rechtsfolgen im Kaufrecht
- Grundsatz
- Käufer trägt Risiko für den zufälligen Untergang der Sache ab Vertragsschluss
- Vgl. OR 185 Abs. 1
- Ist die veräusserte Sache nur der Gattung nach bestimmt, so muss sie überdies ausgeschieden und, wenn sie versendet werden soll, zur Versendung abgegeben sein
- Vgl. OR 185 Abs. 2
- Käufer trägt Risiko für den zufälligen Untergang der Sache ab Vertragsschluss
- Untergang der Sache nach Vertragsschluss, Ausscheidung oder Versendung
- Wirkung für den Verkäufer
- Wird von der Leistungspflicht befreit
- Wirkung für den Käufer
- Muss Kaufpreis bezahlen ohne Ware zu erhalten
- Wirkung für den Verkäufer
- Grundsatz
- Rechtsfolgen nach OR 119
Verschuldete Unmöglichkeiten
- Durch den Schuldner verschuldete anfängliche Unmöglichkeit (subjektiv und objektiv)
- Rechtsfolgen nach OR 97
- Haftung aus culpa in contrahendo
- Rechtsfolgen nach OR 97
- Durch Schuldner verschuldete nachträgliche Unmöglichkeiten (subjektiv und objektiv)
- Rechtsfolgen für die Leistung des Schuldners
- Nach OR 107 Abs. 2
- Ob ein Rücktrittsrecht des Gläubigers existiert ist in der Lehre umstritten
- Ein Bundesgerichtsentscheid besteht noch nicht
- Nach OR 97 Abs. 1
- Erfüllungsanspruch wird in Schadenersatz umgewandelt
- Es ist das positive Vertragsinteresse geschuldet
- Der Vertragspartner ist so zu stellen, als wäre der Vertrag korrekt erfüllt worden
- Sämtliche Rechtsinstitute aus dem Vertragsverhältnis bleiben bestehen
- Abtretung
- Einrede
- Einwendungen
- Verjährung
- Nach OR 107 Abs. 2
- Rechtsfolgen für die Leistung des Gläubigers
- Gemäss Austauschtheorie
- Der Gläubiger ist weiterhin leistungspflichtig
- Als Gegenleistung erhält er die Leistung des Schuldners in Form von Schadenersatz
- Gemäss Differenztheorie
- Gemäss OR 215 kann der Gläubiger die Differenz zwischen seiner Leistung und dem Schadenersatzanspruch geltend machen
- Anwendung über den kaufmännischen Verkehr hinaus auf andere Vertragsverhältnisse
- Vgl. BGE 65 II 171 E. 2
- Anwendung über den kaufmännischen Verkehr hinaus auf andere Vertragsverhältnisse
- Gemäss OR 215 kann der Gläubiger die Differenz zwischen seiner Leistung und dem Schadenersatzanspruch geltend machen
- Abgrenzung Austausch- und Differenztheorie
- Unterscheidung spielt nur bei Sachleistungen eine Rolle
- Stehen auf beiden Seiten Geldleistungen, kommt es zur Verrechnung
- Entspricht faktisch der Differenztheorie
- Gemäss Austauschtheorie
- Rechtsfolgen für die Leistung des Schuldners
- Durch den Gläubiger verschuldete nachträgliche Unmöglichkeit
- Anwendungsfall
- Annahmeverzug des Arbeitgebers
- OR 324
- Annahmeverzug des Arbeitgebers
- Anwendungsfall
Gesetzestext
Art. 20 E. Inhalt des Vertrages / II. Nichtigkeit
II. Nichtigkeit
1 Ein Vertrag, der einen unmöglichen oder widerrechtlichen Inhalt hat oder gegen die guten Sitten verstösst, ist nichtig.
Art. 97 A. Ausbleiben der Erfüllung / I. Ersatzpflicht des Schuldners / 1. Im Allgemeinen
A. Ausbleiben der Erfüllung
I. Ersatzpflicht des Schuldners
1. Im Allgemeinen
1 Kann die Erfüllung der Verbindlichkeit überhaupt nicht oder nicht gehörig bewirkt werden, so hat der Schuldner für den daraus entstehenden Schaden Ersatz zu leisten, sofern er nicht beweist, dass ihm keinerlei Verschulden zur Last falle.
Art. 119 E. Unmöglichwerden einer Leistung
E. Unmöglichwerden einer Leistung
1 Soweit durch Umstände, die der Schuldner nicht zu verantworten hat, seine Leistung unmöglich geworden ist, gilt die Forderung als erloschen.
2 Bei zweiseitigen Verträgen haftet der hienach freigewordene Schuldner für die bereits empfangene Gegenleistung aus ungerechtfertigter Bereicherung und verliert die noch nicht erfüllte Gegenforderung.
3 Ausgenommen sind die Fälle, in denen die Gefahr nach Gesetzesvorschrift oder nach dem Inhalt des Vertrages vor der Erfüllung auf den Gläubiger übergeht.
Weiterführende Literatur
- Glättli Elisabeth, Zum Schadenersatz wegen Nichterfüllung nach Art. 97 Abs. 1 und 107 Abs. 2 OR. Eine Übersicht, Würdigung und Kritik der heutigen Regelung (Diss.), Zürich 1998
Judikatur
- zur Subjektive Unmöglichkeit:
- Zur Differenztheorie
- BGE 65 II 171 E. 2