Bei Leistungsstörungen hat das Luftfahrtunternehmen den Flugpassagier wie folgt Ausgleichsleistungen zu erbringen:
Grundlage
- EU-VO (EG) 7
Anspruch auf Ausgleichsleistungen
Anspruchsfälle
- Nichtbeförderung (EU-VO (EG) 4 Abs. 3)
- Flugannullierung (EU-VO (EG) 5 Abs. 1 lit. c)
Kein Ausgleichsanspruch
- (grosse) Flugverspätung
- Ausnahme
- Schadenersatzansprüche nach MÜ 19 und 22 sowie LTrV 10
Rechtsnatur der Ausgleichsleistung
- Ausgleichsleistung = Pauschalierter Schadenersatz mit Genugtuung
- Abgeltung von Ärgernis und Unannehmlichkeiten, die aus einer Nichtbeförderung oder Flugannullation resultieren
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Höhe der Ausgleichsleistung
Kriterien zur Quantitativbildung
- Entfernung zwischen Abflug- und Zielflughafen (EU-VO (EG) 7 Abs. 1 lit. a – c)
- Methode der Grosskreisentfernung
- a) 250 EUR bei allen Flügen über eine Entfernung von 1 500 km oder weniger
- b) 400 EUR bei allen innergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung von mehr als 1 500 km und bei allen anderen Flügen über eine Entfernung zwischen 1 500 km und 3 500 km
- c) 600 EUR bei allen nicht unter Buchstabe a) oder b) fallenden Flügen
- Beweislast der Fluggesellschaft für die Entfernungsberechnung bei der Methode der Grosskreisentfernung (vgl. EU-VO (EG) 7 Abs. 4)
- Da die Entfernungsermittlung für den Fluggast schwierig ist, dürfte die Fluggesellschaft beweispflichtig sein, so SCHMID RONALD, a.a.O., S. 266 f.
- Methode der Grosskreisentfernung
Flug mit mehreren Reiseabschnitten
- Massgeblichkeit des letzten Zielflughafens, selbst wenn die Nichtbeförderung oder die Flugannullierung nur den ersten Reiseabschnitt betrifft (EU-VO (EG) 7 Abs. 1 Satz 2
Kürzung der Ausgleichszahlung
- Die Ausgleichszahlung kann beim Angebot einer Alternativbeförderung um 50 % gekürzt werden:
- Alternativflug zum Endziel und
- Eintreffen am Endziel nicht später als 2 bis 4 Stunden (entfernungsgestaffelt) nach der ursprünglichen Ankunftszeit (vgl. EU-VO (EG) 7 Abs. 2)
- Nach FÜHRICH ERNST, a.a.O., S. 9, kommt – Alternativ-Flugangebot vorausgesetzt – eine Ausgleichszahlungs-Kürzung auch dann in Betracht, wenn der Fluggast sich für den Vertragsrücktritt und die Erstattung des Flugpreises entscheidet
Art der Ausgleichszahlung
- Erlaubte Zahlungsmittel
- Barzahlung
- Banküberweisung
- Check
- Vereinbartes Zahlungsmittel
- Reisegutscheine, nur bei schriftlichem Einverständnis des Fluggasts (vgl. EU-VO (EG) 7 Abs. 3)
Ausgleichszahlung ist schadensunabhängige Zahlung
- Ausgleichszahlung sind unabhängig von einem möglichen Schaden geschuldet
Freiwilliger Verzicht auf Beförderung
Abgeltungsangebot an Freiwillige bei Überbuchung
- Im Überbuchungsfalle kann die Fluggesellschaft folgende Zahlungen vermeiden, wenn es ihm gelingt, den Fluggast zum freiwilligen Verzicht auf seine Beförderung zu bewegen (vgl. EU-VO (EG) 4 Abs. 1 Satz 1):
- Ausgleichszahlung (vgl. EU-VO (EG) 7)
- Ersatz eines eventuellen, weitergehenden Schadens (vgl. EU-VO (EG) 12 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1)
Praxis
- Aufruf am Abfertigungsschalter an Freiwillige, gegen Zahlung von Ersatzleistungen (Gegenleistung) auf die Beförderung zu verzichten
- Fluggastinformation zwecks Erkennung der Tragweite
- Gut sichtbarer Anschlag, in dem der Fluggast auf seine Rechte, insbesondere Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen, hingewiesen wird (vgl. EU-VO (EG) 14 Abs. 1)
- Abgabe einer Broschüre an die Fluggäste, denen die Beförderung verweigert oder einen Flug annulliert wird, mit schriftlichem Hinweis auf die Regeln für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen gemäß EU-VO (EG) (vgl. EU-VO (EG) 14 Abs. 2)
- Fluggastinformation zwecks Erkennung der Tragweite
Vereinbarung zwischen Fluggast und Fluggesellschaft
- Leistungssurrogate für den gesetzlichen Ausgleich
- Airlines bieten als Verzichtsentgelte an:
- Ersatzflug zu einem späteren Termin
- Ersatzflug zu einem andern Flughafen
- Fluggutscheine
- Bargeld
- etc.
- Airlines bieten als Verzichtsentgelte an:
- Attraktivität des Verzichtsentgelts
- Das Verzichtsentgelt muss, um genügend attraktiv zu sein, höher ausfallen als die Rechte, auf die der Fluggast verzichtet, nämlich:
- Ausgleichsleistung
- Schadenersatz
- Betreuung (vgl. EU-VO (EG) 4 Abs. 1 Satz 2)
- Entschädigungspflichten
- Die Airline schuldet dem Fluggast nebst der vereinbarten Ersatzleistung die
- Unterstützungsleistungen nach EU-VO (EG) 8 (vgl. EU-VO (EG) 4 Abs. 1 Satz 2)
- Die Airline schuldet dem Fluggast nebst der vereinbarten Ersatzleistung die
- Das Verzichtsentgelt muss, um genügend attraktiv zu sein, höher ausfallen als die Rechte, auf die der Fluggast verzichtet, nämlich:
Entlastungsmöglichkeiten bei Flugannullation
Dahinfallen der Ausgleichspflicht
- Gemäss EU-VO (EG) entfällt die Ausgleichsleistungspflicht in folgenden Fällen:
- Rechtzeitige Passagierinformation über die Flugannullierung (vgl. EU-VO (EG) 5 Abs. 1 lit. c)
- Aussergewöhnliche, unvermeidbare Umstände (vgl. EU-VO (EG) 5 Abs. 3)
- In diesen Entlastungsfällen schuldet die Airline dem Fluggast aber:
- Betreuungsleistungen
- Unterstützungsleistungen
Rechtzeitige Passagierinformation
- System
- Differenzierung nach dem Informationszeitpunkt (vgl. EU-VO (EG) 5 Abs. 1 lit. c)
- Informationszeitpunkt
- Einfache Information mindestens 2 Wochen vor dem Abflug
- ausreichend für die Befreiung der Airline von ihrer Ausgleichspflicht
- Information weniger als 2 Wochen vor dem Abflug
- Angebotspflicht für einen Ersatzflug, unter genauen Angaben
- Ankunftszeit
- mit einer Überschreitenszeit von höchstens 4 bzw. 2 Stunden) gegenüber der planmässigen Ankunftszeit (vgl. EU-VO (EG) 5 Abs. 1 lit. c ii)
- Ankunftszeit
- Annullierungsinformation gilt als nicht mehr rechtzeitig
- Ausgleichsanspruch des Flugpassagiers bleibt definitiv bestehen
- Angebotspflicht für einen Ersatzflug, unter genauen Angaben
- Beweislast für die Rechtzeitigkeit der Information
- Airline
- Einfache Information mindestens 2 Wochen vor dem Abflug
Aussergewöhnliche, unvermeidbare Umstände
- Praxis
- Airlines berufen sich nicht selten auf technische Defekte als aussergewöhnliche Umstände, um der Pflicht zur Ausgleichsleistung nach EU-VO (EG) 7 zu entgehen
- Voraussetzungen (vgl. EU-VO (EG) 5 Abs. 3)
- Folgende zwei Exkulpationsvoraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein
- Vorliegen aussergewöhnlicher Umstände
- Unvermeidbarkeit, trotz aller zumutbaren Massnahmen
- Folgende zwei Exkulpationsvoraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein
- Beweislast für das Vorliegen der Exkulpationsvoraussetzungen (vgl. EU-VO (EG) 5 Abs. 3)
- Airline
- Anwendungsfälle
- Anforderungen
- Aussergewöhnliche Umstände müssen, um MÜ-Grundsätzen zu genügen, ausserbetrieblicher Natur sein
- Entlastungsfälle
- Wetterlage, die die Flugdurchführung verhindert
- Politische Instabilität
- Sicherheitsrisiken
- Unerwartete Flugsicherheitsmängel
- Betrieb der ausführenden Airline beeinträchtigende Streiks (zB Fluglotsenstreik)
- Anforderungen
- Höhere Gewalt
- Entlastungsgrund für die Airline (Lehrmeinung, vgl. FÜHRICH ERNST, a.a.O., S. 6)
- Technischer Defekt des Fluggeräts
- Anforderungen
- Ausserbetriebliche Natur der aussergewöhnlichen, unvermeidbaren Umstände
- Entlastungsfälle
- Blitzschlag
- Vogelschlag
- Keine Entlastungsfälle
- Technische Defekte des Flugzeugs, die dessen Flugtüchtigkeit, nicht aber Luftsicherheit beeinträchtigen
- Triebwerkschaden
- Reifenschaden
- (andere) Wartungsmängel
- Technische Defekte des Flugzeugs, die dessen Flugtüchtigkeit, nicht aber Luftsicherheit beeinträchtigen
- Anforderungen
- Streik des Airline-eigenen Personals
- Situation
- umstritten
- Entlastungsanforderungen, wenn der Personalstreik als aussergewöhnlicher, unvermeidbarer Umstand?
- Nachweis der Airline, dass es alle zumutbaren Massnahmen zur Vermeidung oder Beendigung des Streiks ergriffen hat
- Ersatzpersonal
- Temporäre Wet-leases bei Tochtergesellschaften oder anderen Airlines
- etc.
- Nachweis der Airline, dass es alle zumutbaren Massnahmen zur Vermeidung oder Beendigung des Streiks ergriffen hat
- Situation
- Schlechte Wetterbedingungen
- Anforderungen
- Einfluss- und Risikosphäre ausserhalb der Airline
- Entlastungsfälle
- Flughafenschliessung
- Start- und Landbeschränkungen mit Flug-Annullierungsfolge
- Keine Entlastungsfälle
- Flug-Nichtdurchführung trotz Wegfall der Schlechtwetterbedingungen
- Anforderungen
Weiterführende Literatur
- STAUDER BERND, SPR, Bd. X, Konsumentenschutz im Privatrecht, 2. Teil, 4. Kapitel: Reiserecht, S. 402 ff.
- FÜHRICH ERNST, Die Fluggastrechte der VO (EG) Nr. 261/2004 in der Praxis, in: MDR 2007, Sonderbeilage zu Heft 7, S. 1 – 14
- SCHMID RONALD, Fluggastrechte, S. 266 f.
- DENGLER FRITZ, Können Einreden nach Art. 5 Abs. 3 Verordnung (EG) Nr. 261/2004 mit technischen Mängeln am Fluggerät begründet werden?, RRa 2007, 210-215
Judikatur
- AG Frankfurt a.M., RRa 2007, 42
- AG Frankfurt a.M., RRa 2006, 230