Der Schuldner kann sich zwar mehrmals für die gleiche Leistung verpflichten, kann aber nur einmal über die gleiche Leistung verfügen. Nachfolgend die Unterscheidung zwischen Verpflichtungs- und Verfügungsgeschäfte:
Verpflichtungsgeschäfte
Begriff
- Das Verpflichtungsgeschäft begründet zwischen den Parteien ein Schuldverhältnis, welches sich auf eine künftige Leistung richtet.
Wirkung und Umfang
- Verpflichtungsgeschäfte lassen eine oder mehrere Obligationen entstehen
- Ein-, zwei- oder mehrseitige Rechtsgeschäfte möglich
- Der Schuldner kann sich mehrmals zur gleichen Leistung verpflichten
Leistungsart
- Positive Leistung
- Tun
- Negative Leistung
- Unterlassen / Dulden
Anwendungsbeispiele
- Zweiseitige Rechtsgeschäfte
- Kaufvertrag (vgl. OR 184 ff.)
- Arbeitsvertrag (vgl. OR 319)
- Werkvertrag (vgl. OR 363)
- Einseitige Rechtsgeschäfte
- Auslobung (vgl. OR 8)
- Schadloshaltungsversprechen zugunsten unbestimmter Geschädigter
Verfügungsgeschäfte
Begriff
- Das Verfügungsgeschäft ändert sofort und endgültig zugunsten eines Andern den Bestand bzw. den Inhalt eines Recht, welches bisher dem Erklärenden zustand
Umfang
- Der Schuldner kann nur einmal über die Leistung verfügen
Zeitliche Priorität
- Bei Verfügungsgeschäften gilt die zeitliche Priorität
- Das erste Verfügungsgeschäft zählt
Anwendungsbeispiele
- Eigentumsübertragung (vgl. OR 184)
- Aufhebung einer Forderung (vgl. OR 115)
- Bestellung eines Pfandrechts (vgl. ZGB 973)
- Bei entsprechender Ausgestaltung auch:
- Abtretung / Zession (OR 164)
Grundsatz, wonach man sich mehrmals verpflichten, aber nur einmal verfügen kann
Mehrfache Verpflichtungsgeschäfte liegen vor, wenn sich ein Verpflichteter rechtsgeschäftlich verpflichtet, eine identische Leistung oder eine Leistung zu identischer Leistungszeit zu erbringen. Sofern und soweit es sich um die gleiche Erfüllungssache handelt, dürfte eine nachträgliche – je nach Vertragsgegenstand objektive oder subjektive – Unmöglichkeit gegeben sein.
Die Zulässigkeit und die Rechtsfolgen mehrfacher Verpflichtungsgeschäfte sind umstritten und können wie folgt beantwortet werden:
- Zulässigkeit?
-
- Das zeitlich spätere Verpflichtungsgeschäft ist mangels Abschlussverbot grundsätzlich zulässig bzw. vorbehältlich der Inhaltsschranken von OR 20 Abs. 1 nicht als widerrechtlich anzusehen
- Bei besonders qualifizierenden Voraussetzungen kann das spätere Verpflichtungsgeschäft als sittenwidrig gelten (Beispiel: Parteien des späteren Verpflichtungsgeschäfts haben Kenntnis des zeitlich früheren Verpflichtungsgeschäfts und von der damit zusammenhängenden Unmöglichkeit der Leistungserbringung)
- Rechtsfolgen
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- Rechtsfolgen bei Sittenwidrigkeit des zeitlich späteren Verpflichtungsgeschäfts
- Leistungsanspruch des Erstberechtigten bleibt trotz Nichtigkeit des zeitlich späteren Verpflichtungsgeschäfts bestehen
- Im Falle der Erfüllung des späteren Verpflichtungsgeschäfts stehen dem Erstberechtigten die Ansprüche aus dem Leistungsstörungsrecht zu
- Rechtsfolgen bei Wirksamkeit des zeitlich späteren Verpflichtungsgeschäfts
- Massgebend ist, ob der Verpflichtete bereits verfügt hat und der Erstberechtigte seinen Realerfüllungsanspruch noch geltend machen und vollstrecken lassen kann
- Der Erstberechtigte hat nach der Verfügung zugunsten des Zweitberechtigten keinen Anspruch auf Realerfüllung und es wandelt sich sein Forderungsrecht vom primären in einen sekundären Leistungsanspruch, d.h. er wird auf den Interessenersatz (Schadenersatz) verwiesen, wobei er einen Anspruch auf das stellvertretende Commodum geltend machen kann
- Es liegt eine nachträgliche Unmöglichkeit mit den Folgen von OR 97 Abs. 1 (vgl. Yannik Minnig, a.a.O., S. 217)
- Dem Erstberechtigten steht in seltenen Fällen allenfalls gegenüber dem Zweitberechtigten ein Anspruch auf ausservertraglichen Schadenersatz zu (vgl. OR 41 Abs. 2).
- Rechtsfolgen bei Sittenwidrigkeit des zeitlich späteren Verpflichtungsgeschäfts
Literatur
- Yannick Minnig, Grundfragen mehrfacher Verpflichtungsgeschäfte, Doppelverkauf – Doppelvermietung – Doppelarbeitsverhältnis, Bern 2018, 266 Seiten