Die Annäherung einer Aktiengesellschaft (AG) an die Rechtsform der Genossenschaft ist möglich und zulässig. Es handelt sich nicht um eine Mischform, sondern um eine Aktiengesellschaft, bei der die Statuten und die sonstige Ausgestaltung dem Gesellschaftstyp der Genossenschaft angenähert sind (Kombination von AG-Rechtsform und genossenschaftlichem „Inhalt“); sie ist ein „Sondertypus“ der AG. Der Kontra-Typus wäre die „kapitalbezogene Genossenschaft“.
Die Annäherung an die genossenschaftlichen Züge berührt vor allem den Endzweck, die personalistische Struktur und die Organisation:
Gesellschaftszweck
- Verfolgung eines genossenschaftlichen Endzwecks?
- Zulässigkeit im Rahmen des aktienrechtlich zulässigen
- Nachträgliche genossenschaftliche Zweckausrichtung
- Zustimmung aller Aktionäre (Einstimmigkeitserfordernis)
- AG-Zwecksetzung = wohlerworbenes Recht
Organisationsstruktur
- AG- und Genossenschaftsstruktur sind identisch
- Zahl der VR-Mitglieder
- Mehrere VR-Mitglieder, um die Wirkung der genossenschaftlichen Kollegialbehörde zu erzielen
- Wählbarkeitsvoraussetzungen
- Regeln zur Annäherung an das genossenschaftliche Prinzip der Selbstorganschaft
- Schaffung eines Beirats als Bindeglied zwischen Verwaltungsrat und Aktionären
- Unübertragbare und unentziehbare VR-Kompetenzen können nur minim in Richtung Genossenschaftsgedanken angepasst werden
Aktionärsrechte
- Vermögensrechte (offene Tür für qualifizierte Bewerber)
- Eintritt
- AK-Erhöhung unter Bezugsrechtsausschluss
- Vorratsaktien
- Ausscheiden
- Erleichterung durch unternehmensinterne Börse, die den Aktienverkauf vermittelt
- siehe nachfolgend unter Austrittsrecht
- Über die gesetzliche Liberierungspflicht hinausgehende finanzielle Pflichten sind einzig auf vertraglicher Basis unter den Aktionären zulässig
- Eintritt
- Mitgliedschaftsrechte
- Zulässigkeit der Einführung des genossenschaftlichen Kopfstimmprinzips
- Genossenschaftliche Annäherung durch Stimmrechtsaktien
- Stärkung der Aktionärsstellung
- Ouorumserschwernisse
- Quorumserleichterungen
- Beschränkung der Stimmrechtsvertretung
- Ausnahme
- Über die gesetzliche Liberierungspflicht hinausgehende Treuepflichten sind nur auf vertraglicher Basis unter den Aktionären zulässig
- Vinkulierung
- Statutarische oder vertragliche Vorkaufsrechte
- Auch bei Erwerb, Übertragung und Beendigung der Mitgliedschaft ist eine Annäherung an die Genossenschaftsnormen möglich
- Austrittsrecht
- zulässig
- Festsetzung der Voraussetzungen (Bedingungen)
- meist verbunden mit Aktienübernahmeverpflichtung durch die AG oder durch die Aktionäre
- Ausschliessungsrecht
- als Korrelat des Austrittsrechts zulässig
- Festlegung der Voraussetzungen (Bedingungen)
- Vorauszustimmung des Aktionärs
- durch Anerkennung der betreffenden Statutenbestimmung
- durch privatschriftliche Vereinbarung mit der Gesellschaft und den Mitaktionären
- Kündigungsrecht für AG-Auflösung
- Zulässigkeit umstritten
- Auflösungsklagerecht
- Zulässigkeit umstritten
Verbreitung
- geringe Verbreitung in der Praxis
- siehe auch die nachfolgende Box
Einsatzmöglichkeiten
- Mieter-Aktiengesellschaft
- Infrastrukturunternehmen von Gemeinden und Städten
- zB Elektrizitätsgesellschaften
- zB Entsorgungsbetriebe
- Taxi-Zentralen
- u.ä.
Anwendungsbeispiele: Genossenschaftlich orientierte Aktiengesellschaften
- Konsumverein Zürich (KVZ)
- inzwischen von Coop Schweiz übernommen, weil das genossenschaftliche Kopfstimmprinzip aufgegeben wurde
- Hapimag
- Galenica AG
- Telekurs AG
- Taxi-Zentrale Zürich AG
- Taxi 2000 AG
Literatur
- KOLLER ARNOLD, Grundfragen einer Typuslehre im Gesellschaftsrecht, Freiburg 1967, 172 S.
- FORSTMOSER PETER, GROSSGENOSSENSCHAFTEN, Diss. Bern 1970, S. 77 ff.
Judikatur
- BGE 92 I 400 ff.
- BGE 74 I 517 ff.