Einleitung
Haftungsarten
Die aktienrechtliche Verantwortlichkeit lässt sich thematisch ordnen in:
Schadenersatz- und Klagerechte
Der Schadenersatz ist bei aufrechtstehender AG an die Gesellschaft selbst zu leisten. Ist die AG im Konkurs oder in einem Nachlassverfahren (Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung [auch Liquidationsvergleich]) so stehen das Klagerecht und der Schadenersatzanspruch der Konkursmasse zu, sofern diese in eigenem Namen und auf eigene Rechnung geltend macht. Die Gläubiger haben nur die Klagemöglichkeit, wenn die Masse auf eine Geltendmachung in eigenem Namen verzichtet und das Prozessführungsrecht gemäss SchKG 260 den Gläubigern zur Abtretung anbietet und diese von ihrem Selbstverfolgungsrecht Gebrauch machen.
Weiterführende Informationen
Solidarhaft
Die Verantwortlichen haften dem legitimierten Kläger gegenüber solidarisch.
Geltendmachung und Abwehr der Verantwortlichkeit
Die abstrakten Verantwortlichkeitsnormen erhalten mit ihrer Umsetzung für Kläger und Beklagte ein „Gesicht“. Die beiden Blickwinkel werden – mit Hinweisen – kurz dargestellt unter:
- Geltendmachung der Verantwortlichkeit
- Haftungsabwehr
Links
- Organhaftung
- VR-Haftung
- Revisorenhaftung
- Verantwortlichkeitsklage
- Exkurs: Faktische Unternehmensführung
- Aktienrechtliche Verantwortlichkeit
Rechtsprechung
Verantwortlichkeit im Konzernverbund: BGE 4C.258/2003 vom 09.01.2004
Literatur
- HOLLIGER-HAGMANN EUGENIE, Aktienrecht: Verwaltungsräte dürfen keine Buchhalter sein – Mit Geschick die Klippen umfahren – Dadurch, dass ein Verwaltungsrat unternehmerische Risiken eingeht und dann etwas schief läuft, macht er sich noch nicht haftpflichtig. Wenn er von einem Geschäft zu wenig versteht, kann er sich durch Beizug eines Experten vor Unannehmlichkeiten bewahren, in Schweizer Versicherung 3/2004, S. 58 ff.
- FRICK JOACHIM, Die Business Judgment Rule als Beitrag zur Systemtaisierung des Verantwortlichkeitsrechts, in: FS Forstmoser, Zürich 2003, S. 509 ff.
- GRASS ANDREA R., Business Judgment Rule, Schranken der richterlichen Überprüfbarkeit von Management-Entscheidungen in aktienrechtlichen Verantwortlichkeitsprozessen, Diss Zürich 1998, SSHW, Bd. 186
- GEHRIGER PIERRE-OLIVIER, Faktische Organe im Gesellschaftsrecht unter Berücksichtigung der strafrechtlichen Folgen, Zürich 1979, SSHW, Bd. 34
Faktische Organschaft
Ausgangslage
Wer sich ohne als formelles Organ im Handelsregister eingetragen zu sein mit der Geschäftsführung einer Aktiengesellschaft (AG) befasst, läuft Gefahr als sog. „faktisches Organ“ qualifiziert zu werden.
Voraussetzungen der faktischen Organschaft
Massgebendes Kriterium ist die organtypische Stellung. Die einzelnen Voraussetzungen sind:
- Garantenstellung beim Handeln
- Treffen von Entscheiden, die formellen Organen vorbehalten sind
- Besorgung der Geschäftsführung
- Massgebende Mitbestimmung bei der Willensbildung der Gesellschaft
[vgl. BGE 4A_306/2009, Erw. 7.1.1 vom 08.02.2010].
Die blosse Mithilfe bei der Entscheidfindung begründet keine organtypische Stellung und führt damit nicht zu einer faktischen Organschaft [vgl. BGE 4A_306/2009, Erw. 7.1.1 vom 08.02.2010]
Umfang der faktischen Organschaft
Der Umfang der faktischen Organschaft orientiert sich an folgenden Fragen:
- Funktion?
- Verantwortungsbereich?
- Einmaliger Geschäftsführungsanlass?
- Regelmässige und dauernde Geschäftsführungstätigkeit?
Die faktische Organschaft beginnt mit dem erstmaligen Tätigwerden und endet mit dem unzweifelhaften Rückzug von der Arbeitgeberfirma und deren Geschäftsaktivitäten [vgl. BGE 9C_279/2007, Erw. 3.2.2 vom 17.06.2008]
Anwendbare Regeln
Für das faktische Organ gelten nicht nur die gleichen Regeln, sondern auch die gleichen Recht und Pflichten, einschliesslich der Sorgfaltsanforderungen, wie für das formelle Organ [vgl. OR 754 Abs. 1].
AHV-Haftung
Auch das faktische Organ kann für ausstehende Sozialversicherungsbeiträge zur Rechenschaft gezogen werden [vgl. AHVG 52]
Aktienrechtliche Verantwortlichkeit
Faktische Organschaft heisst keinesfalls zwangsläufig Haftung. Für eine Haftung des faktisch handelnden Organs verlangen Lehre und Rechtsprechung die Erfüllung der nämlichen Voraussetzung wie für die formellen Organe:
- Schaden
- Pflichtverletzung
- Adäquater Kausalzusammenhang
- Verschulden.
Weiterführende Informationen
- Konstellationen faktischer Organschaft
- Faktische Organschaft des nicht im HR eingetragenen wirtschaftlich Berechtigten
- Faktische Organschaft im Konzern
- Faktische Führung einer Tochter-Gesellschaft durch die Mutter-Gesellschaft
- Faktische Führung der Enkeltochter-Gesellschaft durch Organe der Konzern-Gesellschaft
- Faktische Führung der Schwestergesellschaft
- Faktische Organschaft von Beiräten, Steuerungsausschüsse und Aktionärpools
- Faktische Organschaft in Unternehmenssanierung durch die kreditierenden Banken
- etc.
- AHV-Haftung
- Aktienrechtliche Verantwortlichkeit
Prospekthaftung
Wer in Prospekten, im Basisinformationsblatt oder in ähnlichen Mitteilungen unrichtige, irreführende oder den gesetzlichen Anforderungen nicht entsprechende Angaben macht, ohne dabei die erforderliche Sorgfalt anzuwenden, haftet dem Erwerber eines Finanzinstruments für den dadurch verursachten Schaden (FIDLEG 69 I).
Weiterführende Informationen
Literatur
- WATTER ROLF, Prospektpflicht und Prospekthaftpflicht, in: ST 9/91, S. 669 ff.
- WATTER ROLF, Prospekt(haft)pflicht heute und morgen, in: AJP 1/92, S. 48 ff.
Gründerhaftung
Personen, die bei der AG-Gründung mitwirkten, haften den Gläubigern, der Gesellschaft oder ihren Aktionären für absichtlich oder fahrlässig verursachten Schaden, der auf folgende Sorgfaltsfehler zurückzuführen ist:
- Fehlen oder Unrichtigkeit der Angaben über Sacheinlage, Übernahme von Vermögenswerten oder Gründungsvorteilen
- Erlangung von Einlagen der AG aufgrund von Urkunden, die unrichtige Angaben enthielten.
Weiterführende Informationen
Organhaftung
Personen (formelle oder faktische Organe), die mit der Verwaltung (Mitglied(er) des Verwaltungsrats bzw. Geschäftsführung) und der Revision (Revisionsstelle) betraut sind, haften den Gläubigern, der Gesellschaft oder ihren Aktionären für den ihnen durch absichtliche oder fahrlässige Pflichtverletzung entstandenen Schaden.
Weiterführende Informationen
Literatur
- MUELLER ROLAND, Unsorgfältige Führung eines Verwaltungsratsmandates, in: Schaden-Haftung-Versicherung, Handbücher für die ganze Anwaltspraxis, Bd. V, Basel und Frankfurt am Main, § 17
- POESCHEL INES / ROLF WATTER, Rechtliche Pflichten und Verantwortung der Führungsorgane, ST 11/2006, S. 816 ff.
- SAUBER THOMAS, Zur aktienrechtlichen Verantwortlichkeit stiller und verdeckter Verwaltungsratsmitglieder, Zürich 1987
- RASCHEIN ROLF, Die Abtretung von aktienrechtlichen Verantwortlichkeitsansprüchen im Konkurs, in: Festschrift 100 Jahre SchKG, Zürich 1989, S. 357 ff.
- GLASL DANIEL, Die kollozierte Forderung im Verantwortlichkeitsprozess, SZW 2005 S. 157 ff.
Liquidatorenhaftung
Personen (formelle oder faktische Organe), die mit der Liquidation der AG betraut sind, haften den Gläubigern, der Gesellschaft oder ihren Aktionären für den ihnen durch absichtliche oder fahrlässige Pflichtverletzung entstandenen Schaden.
Weiterführende Informationen
Geltendmachung der Verantwortlichkeit
Die Verfolgung von Verantwortlichkeitsansprüchen orientiert sich an den hiervor erwähnten Haftungsursachen. Anstelle einer Informations-Wiederholung wird auf unsere Contents unter folgenden Links verwiesen:
Weiterführende Informationen
Haftungsabwehr
Das mit der Inanspruchnahme aus Organhaftung konfrontierte Mitglied des Verwaltungsrats wird sich zwangsläufig mit einer Abwehrstrategie, mit den Abwehrmöglichkeiten und mit den Verteidigungsmitteln befassen müssen.
Dem betroffenen VR-Mitglied stehen sowohl materiell-rechtliche Verteidigungsmittel (Einwendungen, Einreden, Bestreitungen) als auch prozessuale Abwehrmittel zur Verfügung. Für Einzelheiten vgl.
Aus Informationsbeschaffungs-, Zeit- und Komplexitätsgründen ist es geboten, dass sich das klagebedrohte VR-Mitglied sofort mit der Abwehr-Vorbereitung befasst.