Der Architekt (Planer) haftet dem Bauherrn für die Kostenüberschreitungsfolgen:
Ausgangslage
Definition
- Ungenauer oder zu ungenauer Kostenvoranschlag = Haftung für falsche Auskunft
Haftungsprinzip > Vertrauensschadenhaftung
Grundsatz
- Architektenhaftung für Ersatz des Vertrauensschutz
Ersatzfokus
- Schaden, welcher der Bauherr dadurch erleidet, weil er auf die relative Genauigkeit des Kostenvoranschlags vertraut und im Vertrauen darauf Dispositionen vorgenommen hat
- Vornahme nachteiliger Dispositionen
- Unterlassung vorteilhafter Dispositionen
Schadenersatz-Voraussetzungen
Informations- und Begründungspflicht des Architekten
Informationspflicht
- Der Architekt (Planer) hat die Kostenüberschreitung von sich aus dem Bauherrn mitzuteilen
Begründungspflicht
- Der Architekt (Planer) ist gehalten, die Abweichungen vom Kostenvoranschlag zu begründen
Folge einer fehlenden oder nicht plausiblen Begründung
- Tatsächliche Vermutung
- Wahrscheinlichkeit, dass der Kostenvoranschlag des Architekten (Planer) ungenau oder zu ungenau war
- Gegenbeweis des Architekten (Planers)
- Widerlegung, dass der Kostenvoranschlag
Vertrauen in die relative Kostenvorschlags-Richtigkeit
Vertrauensschutz
- Schützenswert ist nur das Vertrauen des Bauherrn in die relative Richtigkeit des Kostenvoranschlags
- Keine Überschreitung der Toleranzgrenze = kein Vertrauensschaden
Grenze des Vertrauensschutzes
- Berücksichtigung von Bauherrendispositionen als zu ersetzenden Schaden, mit denen der Architekt rechnen musste, d.h. alle Dispositionen mit der Bauausführung und ggf. die geschäftlichen oder beruflichen Veränderungen
- Vertrauensschutz des Bauherrn daher in der Regel nur darauf, dass sich der Kostenvoranschlag innerhalb der Toleranzgrenze hält
Kein Vertrauensschaden = keine Ersatzpflicht
- Kein Vertrauensschaden = keine Architektenhaftung
Mehrkosten
- Mehrkosten im Sinne der Kostenüberschreitungshaftung = Toleranzgrenze übersteigende Baukosten
Dispositionen des Bauherrn
Dispositionen des Bauherrn
- Vornahme nachteiliger Dispositionen
- Bau-Erstellung auf Basis des Kostenvoranschlages
- nicht auf eine andere Weise
- nicht auf eine billigere Weise
- Baukredit-Beschaffung auf Basis des Kostenvoranschlages
- Refinanzierung der effektiven Gesamtkosten mittels Zusatzkredit, wenn die Baute – trotz Mehrkosten – hiefür Sicherheit bietet
- Bau-Erstellung auf Basis des Kostenvoranschlages
- Unterlassung vorteilhafter Dispositionen
- Kostenvoranschlag kann den Bauherrn davon abhalten, eine andere, im Nachhinein – bei Beachtung des unrichtigen Kostenvoranschlags – bessere Alternative anzunehmen
- Kauf eines andern Hauses oder eine StWE-Wohnung
- Aufgabe seiner günstigeren Mietwohnung
- Wechsel von Wohnsitz bzw. Geschäftsdomizil oder Arbeitsstelle
- uam
- Kostenvoranschlag kann den Bauherrn davon abhalten, eine andere, im Nachhinein – bei Beachtung des unrichtigen Kostenvoranschlags – bessere Alternative anzunehmen
Schadenersatz
Grundsatz
- Vertrauensschaden = Differenz zwischen dem aktuellen Vermögensstand und dem mutmasslichen Stand, welcher das Bauherren-Vermögen hätte, wenn er anders disponiert hätte, als er es im Vertrauen auf den Kostenvoranschlag tat
(unhaltbare, aber gängige) Praxis
- Über die Toleranzgrenze hinaus entstandene Mehrkosten werden halbiert, um die Wertsteigerung durch die verbaute Mehrleistung zu berücksichtigen
- Kritik
- Vernachlässigung der effektiven Vermögensnachteile für den Bauherrn und des Umstandes, dass die Mehrkosten nicht zu einem Mehrwert führen müssen
- Siehe ferner in der Box
Höhe der Schadenersatzpflicht
- Anwendung der Regeln des Deliktsrechts (OR 99 Abs. 3 i.V.m. OR 42)
- Ersatz des effektiv erlittenen Schadens
- Bemessung des Schadenersatzes
- In Würdigung der Umstände und der Grösse des Verschuldens (OR 43 Abs. 1)
- Leichtes Architekten-Verschulden ist kein Reduktionsgrund
- Schadenersatzherabsetzung
- Grundlage
- OR 99 Abs. 3 i.V.m. OR 44 Abs. 1)
- Selbstverschulden des Bauherrn
- Eigene Fachkunde
- Unterlassung möglicher Einsparmassnahmen, die die Überschreitungssumme reduziert hätten, alles trotz Überschreitungsinformation des Architekten
- Kein Selbstverschulden des Bauherrn
- Unterlassene Beaufsichtigung des Architekten infolge Nichtanforderung der Kostenrapporte
- Unterlassung des Grundstückverkaufs, der den Schaden für den Architekten gering halten würde
- Grundlage
- Vorteilsausgleichung
- Wenn eine Vorteilsausgleichung gerechtfertigt ist, sollte diese im effektiven Wert und nicht mit der „Faustregel der Halbierung“ berücksichtigt werden
- Individualbeurteilung erforderlich
Behauptungs- und Beweislast
Behauptungslast (in der Rechtsschrift)
- Der Bauherr hat seinen Anspruch aus Vertragsverletzung infolge unsorgfältigen Kostenvoranschlages zu behaupten, sowohl im Falle seiner Klage als auch im Falle seiner Abwehr der Honorar-Klage des Architekten
Beweislast (Anspruchsnachweis im Fall der Bestreitung durch den Architekten)
- Der Bauherr hat seinen Anspruch aus Vertragsverletzung infolge unsorgfältigen Kostenvorschusses nachzuweisen
Direkter Beweis
- Nachweis fehlender oder falscher Positionen
- Vom Architekten stillschweigend akzeptierte Bestellungsänderung des Bauherrn
- Auslegung der Toleranzgrenze von +/- 10 % nicht als Haftungsbeschränkungsklausel
Wahrscheinlichkeitsbeweis
- Wenn der Bauherr nur das Ausmass der Kostenüberschreitung kennt, nicht aber deren Ursache, steht ihm in der sog. Toleranzgrenze der Wahrscheinlichkeitsbeweis offen
- Möglichkeit, von der Folge auf die Ursache zu schliessen
- Aus einer massiven Kostenüberschreitung auf zumindest teilweise unsorgfältige Erfassung und Überwachung der Kosten zu schliessen
- Zulässigkeit des Wahrscheinlichkeitsbeweises, wenn der direkte Beweis nicht möglich oder unzumutbar ist
Doppelter Anscheinsbeweis der Toleranzgrenze von +/- 10
- Zugunsten des Architekten und zugunsten des Bauherrn, dass einerseits Kostenprognosen wesensbedingt ungenau sind und andererseits Kostenüberschreitungen den Anschein einer unsorgfältigen Kostenerfassung bzw. Kostenüberwachung erwecken
Folgen der Beweislosigkeit
- Der Bauherr trägt die Folgen der Beweislosigkeit, d.h. er wird mit seinem Prozess (im Kostenüberschreitungspunkt) unterliegen
Verjährung
Anwendung Werkvertragsrecht (OR 371 Abs. 2)
- Verpflichtung zum Arbeitserfolg
- Anwendungsfall
- Kostenkontrolle ist einziger Vertragsgegenstand
Anwendung Auftragsrecht (OR 394 ff.)
- Verpflichtung zur gehörigen Sorgfalt
- Anwendungsfälle
- Vorschlag des Gesamtarchitekten
- Gesamtvertrag
- Verjährungsbeginn
- Am Tage, an dem der Architekt den Fehler begeht (nicht erst mit Eintritt des Schadensereignisses oder der Kenntnisnahme des Schadens
- Verjährung
Honorarkürzung
Literatur
Allgemein
- ZEHNDER HANNES, Die Haftung des Architekten für die Überschreitung seines Kostenvoranschlages, Freiburg 1993
- GAUCH PETER, Überschreitung des Kostenvoranschlages – Notizen zur Vertragshaftung des Architekten (oder Ingenieurs), in: BR 1989, S. 79 ff.
Kritik an der Praxis, der Halbierung der über die Toleranzgrenze hinaus entstandenen Mehrkosten
- GAUCH PETER, Überschreitung des Kostenvoranschlages – Notizen zur Vertragshaftung des Architekten (oder Ingenieurs), in: BR 1989, S. 82
- ZEHNDER HANNES, Die Haftung des Architekten für die Überschreitung seines Kostenvoranschlages, Freiburg 1993, S. 96
Schadenersatzherabsetzung (Umstände, für die der Bauherr einstehen muss)
- ZEHNDER HANNES, Die Haftung des Architekten für die Überschreitung seines Kostenvoranschlages, Freiburg 1993, S. 110
Judikatur
Praxis der Halbierung der über die Toleranzgrenze hinaus entstandenen Mehrkosten
- Rep 120 (1987) S. 217 = BR 1988, Nr. 62, S. 63 f.
- BR 1987, Nr. 4, S. 15 f.
- BR 1984, Nr. 3, S. 13 f.
- BR 1979, Nr. 3, S. 10
- Extraits 1969, S. 76 (praxisbegründend)
Leichtes Architekten-Verschulden = kein Reduktionsgrund
- BGE 92 II 240
- BGE 82 II 31
Schadenersatzherabsetzung (Umstände, für die der Bauherr einstehen muss)
- BGE 117 II 159
- BGE 116 II 458
Verjährung der Architektenhaftung bei falscher Baukostenschätzung (10-jährige Verjährungsfrist)
- BGE 134 III 361
- BGE 102 II 418 f.