Die technischen Fachnormen spielen bei der Projektierung, Bauausführung und bei der zivil- und strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Architekt und Ingenieur eine wesentliche Rolle:
Anerkannte Regeln der Baukunde
Definition
- Anerkannte Regeln der Baukunde = technische Baufach-Regeln, welche wissenschaftlich anerkannt sind und sich nach Mehrheitsansicht der Baufachleute in der Praxis bewährt haben
Gegenstand
- Genereller Massstab für Wissen, Können und Sorgfalt
- zur Erfüllung
- vorausgesetzter Beständigkeit
- vorausgesetzter Eigenschaften
- vorausgesetzter Gebrauch
- vertragliche Eigenschaften
- anerkannte geschriebene und ungeschriebene Regeln der Baukunde
- zur Erfüllung
- sicherere Fachverbandsnormen gegenüber staatlichen (Schutz-)Vorschriften
- klassisches Anwendungsbeispiel
- SIA-Norm 358 (Geländer und Brüstungen), welche gegenüber dem vielenorts anzutreffenden baupolizeilichem Mindestmass von 0,9 m sicherere 1 Meter hohe Schutzgeländer verlangt
- Solche Normen sollten mit Vorteil zum Vertragsbestandteil gemacht werden
- Siehe unten „Technische Normen als Bestandteil eines Vertrages“
- klassisches Anwendungsbeispiel
Abgrenzung
- Anerkannte Regeln der Baukunde
- Breite Zustimmung und Anwendung in der Praxis
- Stand der Technik
- Keine Erfordernis einer breiten Zustimmung und Praxisanwendung
technische Fachnormen als anerkannte Regeln der Baukunde
- Damit solche technischen Fachnormen Führungsgeltung in Anspruch nehmen können, werden bestimmte Anforderungen an sie gestellt
Abweichungszulässigkeit
- Es steht Architekten und Ingenieuren frei, mindestens gleichwertige Alternativ-Lösungen einzusetzen
- laufende technische Entwicklungen
- neue Produkte
- Für den diese alternativen Lösungen einsetzenden Planer ergibt sich natürlich ein erhöhtes Risiko, weil er einerseits von bekanntem und bewährtem abweicht und andererseits ihm die Langzeiterfahrungen fehlen bzw. er ggf. später das Nachweis-Risiko der Gleichwertigkeit trägt, wobei es natürlich auch darauf ankommt, ob es um sicherheitsrelevante oder bloss ästhetische Bauausführungen geht
Nichtbeachtungs-Folgen
- Zivilrechtliche Verantwortlichkeit
- Strafrechtliche Verantwortlichkeit
Stand der Technik
Definition
- Stand der Technik = optimale Lösungen für Aufgaben des Baubereichs, die in Wissenschaft und Baupraxis als richtig anerkannt wurden
Gegenstand
- SIA-Normenwerk im technischen Bereich
- Internationale Normen des technischen Bereichs
Abgrenzung
- Anerkannte Regeln der Baukunde
- Breite Zustimmung und Anwendung in der Praxis
- Stand der Technik
- Keine Erfordernis einer breiten Zustimmung und Praxisanwendung
Abweichungszulässigkeit
- Regelfall
- Bauherr kann und darf davon ausgehen, dass die von mit der Bauwerk-Erstellung beauftragten Architekten, Ingenieure und Unternehmer anwenden
- die anerkannten Regeln der Baukunde
- den (aktuellen) Stand der Technik
- Bauherr kann und darf davon ausgehen, dass die von mit der Bauwerk-Erstellung beauftragten Architekten, Ingenieure und Unternehmer anwenden
- spezielle Situation
- als Grund zur Abweichung vom aktuellen Stand der Technik
- Architekten, Ingenieure und Unternehmer sollten alle Aspekte der Erstellung, des Betriebs, der Wartung und der Dauerhaftigkeit bedenken und dokumentieren, um sich im Ereignisfall entlasten zu können
- Produkte
- Es gelten grundsätzlich die gleichen Überlegungen wie zur „speziellen Situation“, mit dem Unterschied, dass hier das Produktehaftpflichtgesetz (PrHG) zur Anwendung gelangt
- Produktehaftung | produkte-haftung.ch
Subsidiäres Recht (Verweisung)
Gesetzgeber-Verweisung
- Verweist der Gesetzgeber auf technische Fachnormen, so erlangen diese Geltung als subsidiäres Recht
Wirkung
- Wirkung wie Gesetzesrecht
Technische Normen als Bestandteil eines Vertrages
Übernahme technischer Normen durch die Vertragsparteien
- Bindungswirkung durch Übernahme der technischen Fachnormen in den Vertrag der Parteien (Bestandteilbildung)
Wirkung
- Allgemeine technische Fachnormen werden so zum Vertragsgegenstand mit individueller Geltung zwischen den Vertragsparteien
Literatur
- BRINER HANS, § 4 Fachnormen, in: Beraten und Prozessieren in Bausachen (Hrsg. Münch Peter / Karlen Peter / Geiser Thomas), Basel / Genf / München 1998, S. 137 ff.