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Auftrag / Auftragsrecht

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Widerruf / Kündigung

Rechtsgebiet:
Auftrag / Auftragsrecht
Stichworte:
Auftrag, Auftragsrecht
Autor:
Bürgi Nägeli Rechtsanwälte
Herausgeber:
Verlag:
LAWMEDIA AG

Einleitung

In Lehre und Rechtsprechung wird unterschieden in:

Termini / Rechtsnatur

Der Gesetzgeber hat ja nach dem, ob der Auftraggeber oder der Beauftragte den Auftrag beendet, unterschiedliche Termini gewählt, und Anforderungen an das Erklärungsverhalten gestellt:

Termini

  • Auftraggeber
    • Widerruf des Auftrags
      • =   Rücknahme des Auftrags
  • Beauftragter
    • Kündigung des Auftrags
      • =   Rückgabe des Auftrags

Rechtsnatur

  • Widerruf und Kündigung sind einseitig ausübbare, auflösende Gestaltungsrechte
    • Einen objektiven Grund für die Ausübung des Gestaltungsrechts ist nicht erforderlich

Erklärung / Beendigungszeitpunkt

Erklärungsverhalten

Lehre und Rechtsprechung stellen an die Widerrufserklärung des Auftraggebers bzw. die Kündigungserklärung des Beauftragten bestimmte Anforderungen:

Einseitige Erklärung

  • Gestaltungserklärung
    • Widerruf und Kündigung erfordern Erklärungen, die folgenden Anforderungen erfüllen müssen
      • empfangsbedürftig
      • bedingungsfeindlich
        • Ausnahme: Postetativ-Bedingung (Erfüllung der Bedingung muss alleine vom Erklärungsempfänger abhängig sein)
    • Erklärungsform
      • formfrei (aus Beweisgründen Schriftlichkeit empfehlenswert)
      • Ausnahme
        • Die Parteien können im Vertrag für den Widerruf bzw. die Kündigung die schriftliche Form vorsehen
        • Die vereinbarte Erklärungsform darf nicht zu einer Erschwerung oder Verunmöglichung des jederzeitigen Kündigungsrechtes führen
  • Keine Begründungspflicht
    • Weder der Widerruf durch den Auftraggeber noch die Kündigung durch den Beauftragten sind zu begründen

Einvernehmliche Auftragsauflösung

  • Auftragsaufhebung durch Abrede beider Parteien ist zulässig.

Eintritt der Auflösungswirkung

Die Auflösungserklärung wirkt grundsätzlich vom Erklärungsempfang an, d.h. ex nunc.

Jederzeitiges Widerrufsrechts

Das jederzeitige Widerrufsrecht des Auftraggebers ist grundsätzlich zwingend (vgl. OR 404; vgl. Zwingender Charakter vor OR 404). Es gilt aber die weitere Regel: Kein Grundsatz ohne Ausnahme. Nachfolgend werden zunächst die Regeln des Grundsatzes des freien Widerrufsrechts erklärt:

Grundsatz

  • Für sog. „typische Aufträge“ ist das Auftrags-Widerrufsrecht des Auftraggebers zwingend
    • Personenbezogener Auftrag (Vertrauensverhältnis)
    • Höchstpersönliche Natur des Auftrags
    • Verhinderung einer gegen die persönliche Freiheit des Auftraggebers verstossende Bindung
    • Unmassgeblicheit, ob der Auftrag entgeltlich oder unentgeltlich erteilt ist
  • Anwendungsfälle
    • Arzt-Auftrag
    • Rechtsanwalts-Auftrag
    • Auftrag für Treuhänder
    • Lehrvertrag
    • Unterrichtsvertrag
    • Gesamtarchitekturvertrag (vgl. BGE4C.18/2005 vom 30.05.2005)
    • Liegenschaftenverwaltungsvertrag (vgl. BGE 106 II 157)
    • Externer Vermögensverwaltungsvertrag (vgl. BGE 4C.447/2004 vom 31.03.2005)
  • Vorteil
    • Rechtssicherheit
  • Nachteil
    • Entfallen der Bindungswirkung auch bei Aufträgen ohne relevantes Vertrauensverhältnis

Ausnahme

  • Aufträge ohne zwingendes freies Widerrufsrecht
    • Vgl. Aufträge ohne zwingendes Widerrufsrecht

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Zwingender Charakter von OR 404

Rechtsprechung des Bundesgerichts

Das jederzeitige Kündigungsrecht gemäss OR 404 ist nach herrschender bundesgerichtlicher Rechtsprechung

  • zwingend
  • nicht dispositiv

Das Bundesgericht sieht den Grund für die gesetzgeberische Ausgestaltung des jederzeitigen Widerrufsrechts im besonderen Vertrauensverhältnis zwischen Auftraggeber und Beauftragten und beim Dahinfallen des Vertrauensverhältnisses im Recht der Parteien, den Auftrag kündigen zu können.

Die strenge Rechtsprechung des Bundesgerichts wird in der Lehre zum Teil heftig kritisiert.

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Keine Widerrufserschwernisse

Die zwingende Ausgestaltung von OR 404 hat zur Folge, dass nicht vereinbart werden können:

  • kein Ausschluss des jederzeitigen Widerrufsrechts bzw. Kündigungsrechts
  • keine Erschwerung des jederzeitigen Widerrufsrechts bzw. Kündigungsrechts
  • keine bedingungslos fällig werdende Konventionalstrafe
    • vgl. Konventionalstrafe?
  • Widerrufsrecht oder Kündigung nur unter Bedingungen
    • zB keine vordefinierten Kündigungsgründe
  • Widerruf oder Kündigung nur zu bestimmten Zeitpunkten

Konventionalstrafe?

Das Widerrufsrecht darf nicht indirekt durch eine Konventionalstrafe beschränkt werden:

Grundsatz

  • Eine Konventionalstrafe zur Verhinderung des freien Auftragswiderrufs ist grundsätzlich unzulässig

Ausnahme

  • Eine Konventionalstrafe kann für den Fall des unzeitigen Widerrufs vereinbart werden
    • Ein blosser Verweis auf SIA-Normen ist aber ungenügend
    • Vgl. Rep 1976 226 ff.
  • Eine Schadenpauschalierung in Form einer Konventionalstrafe im Voraus ist also nicht ausgeschlossen, sofern ihr kein Strafcharakter zukommt

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Ohne jederzeitiges Widerrufsrecht

Für sog. „atypische Aufträge“ ist das Widerrufsrecht nicht absolut zwingend:

Voraussetzungen

  • Kein evidenter Persönlichkeitsschutz
  • Administrative Auftragsverhältnisse,
    • mit ausschliesslich technisch-wirtschaftlicher Zweck
    • mit zum Voraus klar definierbarer Aufgabe und Ablieferung eines Arbeitsergebnisses in bestimmter Form
    • mit verhältnismässig einfacher Arbeitsleistung
    • die üblicherweise auf eine längere Dauer eingegangen werden, meistens bis zum Abschluss der Arbeiten

Anwendungsfälle

  • Auftragsverhältnisse der technischen Administration
  • Auftragsverhältnisse der kaufmännischen Administration
  • Auftrag für die Erstellung eines Bildnisses
  • Auftrag für Intonierung eines Musikstücks
  • Auftrag zur Redaktion eines Romans
  • Liegenschaftenverwaltungsvertrag (je nach Mandatsart)
  • Dauernde Inkassovertrag
  • Werbeauftrag
  • Auftrag für die Projektierung eines Bauwerks
  • Agenturvertrag
  • Franchisingvertrag
  • Chartervertrag

Bei den meisten dieser „atypischen Aufträge“ handelt es sich um sog. „Dauerschuldverhältnisse“, aber auch um gemischte Verträge oder Innominatkontrakte.

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Folgen der Auftragsbeendigung

Die Beendigung des Auftrags zeitigt sachenbedingt auf Beauftragten und Auftraggeber unterschiedliche Rechtsfolgen:

Beauftragter

  • Endigung der Pflicht zur fremdnützigen Geschäftsbesorgung
  • Ausnahme
    • Im Falle der Gefährdung der Auftraggeber-Interessen ist der Beauftragte gestützt auf OR 405 Abs. 2 zu den erforderlichen Überbrückungshandlungen verpflichtet

Auftraggeber

  • Endigung des Anspruchs auf Geschäftsbesorgung

Erlöschen der „Obligationen“

Mit der Auftragsbeendigung erlöschen die während der Dauer des Auftrags entstandenen „Obligationen“:

Mit dem Widerruf bzw. mit der Kündigung sich realisierende Obligationen

  • Beauftragter
    • Rechenschaftslegung
  • Auftraggeber
    • Honorarbezahlung
    • Auslagenersatz
    • Befreiungsersatz

Fortdauernde Pflichten

  • Geheimhaltung
  • Aktenaufbewahrung – sofern sie nicht an den Auftraggeber zurückgegeben werden – bis zum Ablauf der Aufbewahrungspflicht

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Unzeitiger Widerruf

Als Ausgleich zum jederzeitigen Kündigungsrecht von OR 404 Abs. 1 sieht der Gesetzgeber eine Schadenersatzpflicht für die von der Kündigung betroffene Partei vor, wenn diese zur Unzeit (ungünstiger Moment) erfolgte:

Grundlage

Voraussetzungen (kumulativ)

  • Keine durch den Betroffenen verschuldete Kündigung
    • Keine Vertragsverletzung
    • Es besteht kein sachlich vertretbaren Grund für die Kündigung des Auftrags
      • zB keine Nachlässigkeiten
  • Nachteile für den durch die Kündigung Betroffenen
    • Besondere Nachteile durch die Kündigung
    • im Hinblick auf die Laufzeit des Auftrags und im Vertrauen auf den Fortbestand des Auftrags getätigte Dispositionen

Dauerschuldverhältnisse

  • Bei Dauerschuldverhältnissen werden an die Voraussetzungen für eine Anwendung von OR 404 Abs. 2 weniger strenge Anforderungen gestellt
    • Kündigungsvereinbarung der Parteien
      • Vorhandensein einer Regelung für ausserordentliche Kündigung
      • Nicht erfüllte Voraussetzungen für ausserordentliche Kündigung
        • Vermutung einer Unzeit-Kündigung, sofern und soweit die kündigende Partei keine wichtigen Gründe geltend machen kann
        • Rein wirtschaftliche Gründe genügen nicht (vgl. BGE 109 II 462, Erw. 4c)

Schadenersatzumfang

  • umstritten
  • Betroffene Ansprüche / Anspruchsvoraussetzungen
    • Negative Vertragsinteresse
      • gehabte Aufwendungen
      • Kosten aus unnütz gewordenen Dispositionen
      • Generalunkosten bei technischen Vorbereitungen
      • entgangener Gewinn, sofern andere entgeltliche Aufträge abgelehnt wurden
    • keine Kompensationsmöglichkeit (= Schadensminderung)

Abgrenzung zu OR 402 Abs. 1 (Aufwendungsersatz)

  • Schwierige Abgrenzung
  • Beauftragter
    • OR 402 Abs. 1
      • Auch beim Unzeit-Widerruf sind die Aufwendungen grundsätzlich gestützt auf OR 402 Abs. 1 zurückzufordern, auch wenn es sich um durch die Kündigung nutzlos gewordene Investitionen handelt
    • OR 404 Abs. 2
  • Auftraggeber
    • Aufwendungen des Auftraggebers werden von OR 402 Abs. 1 nicht erfasst

Einzelfallbezogene Interessenabwägung

  • Abwägung des begründeten sofortigen Vertragsauflösungsinteresse vs. im Vertrauen auf die längerfristige Geschäftsbeziehung getätigte Aufwendungen
    • Im Zweifelsfall (zB Vertragsverletzung) fällt eine Vertragsauflösung nicht unter OR 404 Abs. 2)
    • Vgl. BGE 4C.251/2000 vom 29.11.2000, Erw. 2c
  • Würdigung aller Umständegemäss richterlichem Ermessen

Weiterführende Informationen

  • Judikatur
    • BGE 110 II 380, Erw. 4b
    • Rep 1980 255 f.
    • SJZ 1983 248 f.
    • SemJud 1953 364
  • Literatur
    • PEYER JÜRG, Der Widerruf im Schweizerischen Auftragsrecht, Diss. Zürich 1974, 202 S.

Vorzeitige Vertragsauflösung bei Erfolgshonorar

Besteht eine Erfolgshonorar-Abrede und bleibt der Erfolg aus, so entfällt der Honorierungsanspruch des Beauftragten.

Besteht ein absolutes Erfolgshonorar, sind bei der vorzeitigen Vertragsauflösung die folgenden Punkte relevant:

Honoraranspruch

  • Kündigung des Auftraggebers ohne wichtigen Grund

Kein Honoraranspruch

  • bei Vorhandensein eines vom Beauftragten gesetzten wichtigen Kündigungsgrundes
  • Auftraggebertod, Auftraggeberhandlungsunfähigkeit oder Auftraggeberkonkurs
  • Ausnahme (Honoraranspruch)
    • nachträglicher Erfolgseintritt dank der Beauftragtenleistung

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