Jeder Bauherr hat Anspruch auf einen Kostenvoranschlag:
Kostenvoranschlag-Definition
Kostenvoranschlag
- Stichwortdefinition
- = Gesamtkostenübersicht
- Kurzdefinition
- = Auskunft über die zu erwartenden Baukosten
- Langdefinition
- = Prognose des Architekten aufgrund seiner detaillierten Kalkulation, die den Bauherrn über die zu erwartenden Baukosten informiert (vgl. auch Art. 4.2.5 SIA-Ordnung 102)
Kostenvoranschlag-Grundlagen
OR
- Abgesehen von Treue und Sorgfaltspflicht keine explizite Grundlage
SIA
- Art. 4.2.5 SIA-Ordnung 102
Kostenvoranschlag-Abgrenzung zur Kostenkontrolle und Fokus
Kostenvoranschlag
- Der Kostenvoranschlag bezieht sich auf künftige Baukosten
Kostenkontrolle
- Die Kostenkontrolle bezieht sich auf bereits entstandene Baukosten, d.h. vor allem auf Schlussabrechnungen (vgl. Art. 4.5.1 SIA-Ordnung 102)
Kostenvoranschlag-Abgrenzungen zu weiteren Prognosen
- Kostenschätzungen = Prognose auf Basis einer überschlägigen Kalkulation der voraussichtlichen Baukosten
- Gesamtkostenübersicht = Prognose (nach Verzicht auf eine Kostenprognose in der Projektphase), die rechtzeitig die Kostenprognose nachholt (vgl. Art. 7.15 i.V.m. Art. 4.3.3 SIA-Ordnung 102)
- Honorarschätzung = Prognose über das voraussichtliche Architektenhonorar
- Ungefährer Ansatz Bauunternehmer = Prognose über den mutmasslichen Preis (Werklohn) des Unternehmers (OR 375)
- Überschreitung Kostensatz | werk-vertrag.ch
- Kostenvoranschlag Bauingenieur = Prognose über das voraussichtliche Ingenieurhonorar
- Kostenlimite = Festsetzung des äussersten Preises für das gesamte Bauwerk
- Bausummengarantie = Zusicherung des Architekten (Planer), wonach die Baukosten den genau bezeichneten Betrag nicht übersteigen
Kostenvoranschlag-Rechtsnatur
- Auskunft mit Vorstellungsäusserung des Architekten (Planer)
- Bei zu ungenauem Kostenvoranschlag entsteht eine Haftung für falsche Auskunft
Kostenvoranschlag-Qualifikation
Auftragsregeln (Einfacher Auftrag nach OR 394 ff.)
- Gesamtvertrag
- vgl. aber BGE 109 II 462 ff.: Gesamtvertrag = gemischter Vertrag mit Spaltung Rechtsfolgen in Auftrag oder Werkvertrag
- Kasuistik
Werkvertragsregeln (Werkvertrag nach OR 363 ff.)
- Einzig Erstellung des Kostenvoranschlags
- Kostenvoranschlag + Baupläne
- Grundlagen
Kostenvoranschlag-Ziel
- Grundlage des Bauherrn für künftige Entscheidungen und Dispositionen
Kostenvoranschlag-Basis
- Detaillierte Kostenkalkulation, auf die sich der Architekt (Planer) zu stützen hat
Kostenvorschlag-Erstellungspflicht
Grundsatz der Erstellungspflicht
- Der Architekt (Planer) ist zur Ablieferung eines Kostenvoranschlags verpflichtet
Folgepflichten
- Pflicht zur persönlichen Erstellung
- Pflicht zur weisungsgemässen Erstellung, falls der Bauherr von sich aus Weisungen erteilt
- Pflicht zur fachmännischen Erstellung
- Ablieferungspflicht
- Pflicht zur rechtzeitigen Ablieferung
- Informations- und Beratungspflichten
Kostenvoranschlag-Zeitpunkt
- Letzte, im Normalfall genaueste Kostenprognose vor Baubeginn
- Den Architekten (Planer) trifft die Pflicht zur rechtzeitigen Ablieferung des Kostenvoranschlags
- Fortschreibung bei rollender Vergabe (Baubeginn vor (vollständiger) Vergabe)
- Der Architekten (Planer) hat in einem solchen Fall die Pflicht zu erhöhter Sorgfalt und zu einer schnellen Aktualisierungskadenz
Inhalt / zu erfassende Kosten
OR
- Keine Inhaltsumschreibung
SIA
- Art. 4.2.5 SIA-Ordnung 102 gibt den Umfang der Beschreibung vor
- Detaillierte Beschreibung mit
- Vorgesehene Materialien
- Vorgesehene Lieferungen
- Bezeichnung der gewählten Materialien
- Detaillierte Beschreibung mit
zu erfassende Kosten
- Mutmassliche Baukosten für den Bauherrn
- Kostenpositionen im Allgemeinen
- Kosten für die Erstellung der Baute
- Umgebungskosten
- Architektenhonorar
- Fachplanerhonorar
- Abtiefungsgrad
- Detailkosten gemäss Kontrollliste möglicher kostenverursachender Leistungen nach Baukostenplan (BKP)
- Kostenpositionen im Allgemeinen
- Gliederung
- nach Baukostenplan (BKP)
- als unberücksichtigt gelten:
- Mehrkosten nach OR 373 Abs. 2
- Kosten nachträglicher Änderungswünsche des Bauherrn
- Als inbegriffen gilt, sofern der Architekt nicht ausdrücklich erwähnt, er habe diese Position nicht berücksichtigt:
- Bauteuerung
Kalkulationsverfahren
- Detaillierte Kalkulation der voraussichtlichen Baukosten (im Gegensatz zur Kostenschätzung: Kostenschätzung)
Auslegung des Vertrages
- Ist streitig, welche Kosten der Architekt (Planer) zu berücksichtigen hat, ist dies durch Auslegung des Architekturvertrages zu ermitteln
Kostenvoranschlag-Form
Gesetz
- Formfreiheit
Praxis
- Schriftform ist der Regelfall
bei Abrede
- digitale Zurverfügungstellung oder Ablieferung eines Datenträgers
Kostenvoranschlag-Kundgabepflicht
- Der Architekt (Planer) muss den Kostenvoranschlag nicht nur erstellen, sondern ihn auch dem Bauherrn (Adressat) abliefern
Kostenvoranschlag-Genauigkeit
Ungewisse künftige Daten
- Da sich die Prognose auf künftige und nicht endgültige Daten bezieht, ist ihr eine gewisse Unzuverlässigkeit eigen
Erstellung vor Arbeitsvergabe
- Die gewisse Unzuverlässigkeit rührt auch daher, dass die Prognose vor Ausschreibung der Arbeiten zu erstellen ist
Toleranzmarge als Ungenauigkeits-Spektrum zugunsten des Architekten
- Aufgrund dieser Unsicherheitsfaktoren wird dem Architekten (Planer) durch die Lehre und Rechtsprechung eine Toleranzmarge, innerhalb der der Bauherr eine Ungenauigkeit akzeptieren muss, zugestanden
Genauigkeitsgrad des Kostenvoranschlags
- Nennung der erfassten Kosten oder Angabe des Genauigkeitsgrades
- Ohne Genauigkeitsgrad-Nennung
- Anwendung des Vertrauensprinzips
- Massgeblichkeit, was der Bauherr in guten Treuen verstehen musste oder durfte
Toleranzregel
Definition Toleranzregel
- Toleranzregel = Ungenauigkeitsmarge, eine besondere Erscheinungsform des Wahrscheinlichkeitsbeweises
Grundlage der Toleranzregel
- OR
- Lehre
- GAUCH PETER, BR 1987, S. 16
- GAUTSCHI GEORG, Berner Kommentar, N 3a zu OR 374
- SCHUMACHER RAINER, Die Haftung des Architekten aus Vertrag, in Gauch Peter / Tercier Pierre, Das Architektenrecht, 3. überarbeitete und ergänzte Auflage, Freiburg 1995, S. 241 / Rz 760
- Rechtsprechung
- BGE vom 16.12.1986 i.S. D. gegen L.
- ZBJV 86 (1950) 40
- Lehre
- SIA
- Massgebende Norm
- „Mangels besonderer Vereinbarung“ verlangt Art. 4.2.5 SIA-Ordnung 102 einen Genauigkeitsgrad von +/- 10 %
- Grundsatz
- Durch Übernahme der SIA-Ordnung wird die Toleranzregel zum Vertragsbestandteil und eben kein anderer Genauigkeitsgrad verabredet
- Ausnahme
- Eine „besondere Vereinbarung“ über den Genauigkeitsgrad (Toleranzgrenze), in Änderung des SIA-Architekturvertrags
- Massgebende Norm
Rechtsnatur der Toleranzregel
- Gegenstand des Beweisrechts
- Keine Regel des materiellen Rechts
Funktion der Toleranzregel
- positiv
- (Faust-)Regel für den Genauigkeitsgrad
- Negativ
- Die Toleranzregel hat nicht die Funktion einer Haftungsbeschränkung
Vereinbarung der Toleranzregel
- Architekt (Planer und Bauherr können – in Abweichung von Gerichtspraxis oder Art. 4.2.5 SIA-Ordnung 102 – den Genauigkeitsgrad des Kostenvoranschlags mit einer (eigenen) Toleranzregel verabreden
- Die Parteiabrede einer Toleranzregel darf aber nicht als eine Haftungsbeschränkungsklausel ausgelegt werden, die den Architekten in diesem Umfang von der Haftung befreien würde
Keine Vereinbarung einer Toleranzregel > Toleranz-Quantitative
- Neubau-Toleranz
- Allgemeine Toleranzregel von +/- 10 % (Normaltoleranz)
- OR-Grundlage
- Lehre und Rechtsprechung
- SIA-Grundlage
- Mangels besonderer Vereinbarung“ verlangt Art. 4.2.5 SIA-Ordnung 102 einen Genauigkeitsgrad des Kostenvoranschlags von +/- 10 %
- OR-Grundlage
- Unvorhergesehenes-Toleranz (Spezialtoleranz)
- Grundlage
- Architekten führen in ihren Kostenvoranschlägen meistens eine Position für „Unvorhergesehenes“
- Funktion
- Zusätzliche Reserve für Ungenauigkeiten des Kostenvoranschlags
- Prozentregel
- 5 % der Gesamtsumme des Kostenvoranschlags
- Pauschalbetrag
- Angabe eines Pauschalbetrages für „Unvorhergesehenes“, ohne nähere Angabe über die Bedeutung
- Fehlkalkulationen sind kumulativ über beide Toleranzen (Normal- und Spezialtoleranz) auszugleichen
- Angabe eines Pauschalbetrages für „Unvorhergesehenes“, ohne nähere Angabe über die Bedeutung
- Grundlage
- Allgemeine Toleranzregel von +/- 10 % (Normaltoleranz)
- Altbausanierungs-Toleranz
- Allgemeine Toleranzregel mit situativem Prozentsatz
- OR-Grundlage
- Situative Beurteilung je nach Schwierigkeitsgrad des Bauvorhabens
- SIA-Grundlage
- Viele Architekten (Planer) stellen – durch Verwendung des SIA-Mustervertrages – einfach auf Art. 4.2.5 SIA-Ordnung 102 ab und wenden – zu ihrem Nachteil – auch bei Altbauten auf die Neubautoleranzgrenze an!
- OR-Grundlage
- Unvorhergesehenes-Toleranz (Spezialtoleranz)
- Grundlage
- Architekten führen in ihren Kostenvoranschlägen meistens eine Position für „Unvorhergesehenes“
- Funktion
- Zusätzliche Reserve für Ungenauigkeiten des Kostenvoranschlags
- Prozentregel
- 10 % der Gesamtsumme des Kostenvoranschlags
- Pauschalbetrag
- Angabe eines Pauschalbetrages für „Unvorhergesehenes“, ohne nähere Angabe über die Bedeutung
- Fehlkalkulationen sind kumulativ über beide Toleranzen (Normal- und Spezialtoleranz) auszugleichen
- Angabe eines Pauschalbetrages für „Unvorhergesehenes“, ohne nähere Angabe über die Bedeutung
- Grundlage
- Allgemeine Toleranzregel mit situativem Prozentsatz
Wirkung der Toleranzregel
- Verbindlichkeit der Toleranzregel
- durch Übernahme von SIA-Ordnung 102 (Art. 4.2.5) und keine „besondere Abrede“, die einen anderen Genauigkeitsgrad beinhaltet
- Toleranzangabe derogiert das Kostenziel des Bauherrn nicht
- Die Toleranzangabe des Architekten auf dem Kostenvoranschlag hebt das Kostenziel des Bauherrn nicht auf
- Kostenüberschreitungs-Haftung
Haftung
Literatur
- ZEHNDER HANNES, Die Haftung des Architekten für die Überschreitung seines Kostenvoranschlages, Freiburg 1993, 151 S.
Judikatur
- EGV 1985, Nr. 34, S. 103 = BR 1987, Nr. 5, S. 15 f.
Weiterführende Informationen
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